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"Lachen ist Systemrelevant"

Karl Köckenberger

1955

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2023

Erinnern an Karl

Kaum jemand hat sich so sehr für die Essenz des schönen Lebens eingesetzt. Nun ist Karl Köckenberger im Alter von 68 Jahren verstorben.

Story

Aufgewachsen in einer Großfamilie mit 5 leiblichen Geschwistern in einem Dorf in Franken.

*10. Juli 1955

Er sprach immer wieder von einem Samen, den man pflanzen kann. Aus dem Schönes wachsen kann, wenn die Umstände es zulassen.

Der prächtigste Wald, den er zum Blühen brachte, war der Kinderzirkus Cabuwazi, in dem heute täglich hunderte Kinder trainieren. Auf der Zirkusbühne sei der Mensch er selbst, einen Handstand könne man nicht spielen. Es klappt, oder es klappt eben nicht. Die Menschenpyramide zeige, wenn eine Gruppe sich gegenseitig stützt, sich sieht, sich stärkt. Es war praktisch unmöglich, Karl zu treffen, ohne dass er irgendwann ein Video auf seinem Laptop suchte und einem mit Überschwang Videos von lachenden Kindern zeigte, die auf Stelzen liefen oder Trampolin sprangen. Dann schwärmte er vom Team, dass dieses oder jenes Zirkusprojekt ermöglichte. Telefonierte mit der Stadtverwaltung und besorgte neue Sponsoren. In Kreuzberg, in Marzahn, in Altglienicke oder Treptow: überall sehen wir noch Zelte des heute weltgrößten Kinderzirkusses Cabuwazi stehen. Cabuwazi, das steht für den Chaotisch Bunten Wanderzirkus.

Cabuwazi wurde umbenannt, weil die Einreichung beim Namenswettbewerb ursprünglich “Karls Bunter Wanderzirkus” meinte, das war ihm aber zu personalisiert. Die Namensgeberin war in der Einradgruppe, aus der der Zirkus in Kreuzberg gegründet wurde. Seine drei Kinder haben alle früher oder später Zirkuskünste gelernt, David, Leila und Mirko. David, seinen ältester Sohn, ist im Alter von 11 Jahren bei einem Unfall gestorben. Zu dessen Beerdigung gab es in Kreuzberg einen riesigen, bunten Zirkus-Straßenumzug. David hat durch und in dem gemeinsamen Zirkus für Karl immer weiter gelebt.

Doch zuvor, als Karl in Berlin ankam, arbeitete er bei Krupp als Stahlbauer, genauer: als Brückenbauer. Einmal im Betriebsrat von Krupp in Berlin musste er gut wählen, welche Brücken er baute: In seiner Funktion stoppte er die Übernahme des Betriebs durch einen Scientologen. Später, erzählte er stolz, hatte er bei einem weiteren Abwicklungsversuch des Standorts in Berlin mit seinen Kollegen in den frühen Morgenstunden das Werkstor verriegelt und den Strom abgestellt, woraufhin ordentliche Verhandlungen beginnen konnten. Es waren die wilden Jahre Berlins, Karl als Teil des Besetzerrat in Kreuzberg. Immer analytisch und ganz der Stratege, doch auch mit seinem Regenbogenpulli.

“Und wer sind Sie?”, bekam immer nur die Antwort: “Ein Elternteil.” Dabei war er Gründer von Cabuwazi und startete alle paar Jahre ein neues Projekt in Israel/Palästina, in Ägypten, Afghanistan, auf Lesbos oder zuletzt in Malawi. Auf einer dieser internationalen Zirkus-Austauschfahrten klingelte das Telefon, das Büro des Bundespräsidenten hatte angerufen. Er legte auf, schüttelte den kitzelnden Stolz ab und überlegte, was das beste in dieser Situation sei: “Ich wurde für das Bundesverdienstkreuz nominiert. Was denkst du, soll ich es annehmen?” Keine Entscheidung war gegeben, sie musste sinnvoll sein, sollte was bringen. Er nahm es an, aber stellvertretend für alle, die mit ihm gearbeitet hatten. Für die tausenden von Menschen, die sich mit ihm in Köpenick den Nazidemos entgegengestellt hatten, während er den braunen Deutschen geschminkt und auf Stelzen das bunte Leben entgegen hielt. Pragmatisch und entschlossen, doch als folge er sein Leben lang dem Stickerspruch, der an seiner Zimmertür stand: Lachen ist Systemrelevant.

Die Kinder-Einradgruppe, aus der Cabuwazi entstanden war, formierte sich im Hinterhof der 1981 besetzten Regenbogenfabrik. Mit wuchtigem Bart sieht man Papa Karl auf den alten Fotos der Hausbesetzer, die das Gebäude entkernten und die Oase im Kiez “instandbesetzte”, wie man es damals nannte. Dort lernte Karl die Kraft der Gemeinschaft kennen, die sich organisierte, um die Samen eines guten Lebens zu säen. Ein Teil fürs gemeinsame Wohnen, ein anderer Teil für den Kiez: bis heute bietet die Regenbogenfabrik Angebote von Kita, Tischlerei, Café oder Hostel an. Die Strukturen mussten geschaffen werden: jeden Monat Plenum, viele Gemeinschaftsaufgaben. Karl hatte immer zu viel auf dem Zettel, also putzte er jeden Monat das Gemeinschaftsklo, damit war er sich seiner Verpflichtungen gewiss - und die Toilette immer zuverlässig sauber. In der gemeinsamen Essensgruppe lagerte immer ein Eimer Honig aus dem Uckermark, womit er sich bei aller Bescheidenheit jeden Morgen ein Zentimeter dick belegte Brote schmierte.

Mit seiner langjährigen Partnerin Johanna feierte er die erste “Kiezhochzeit”. Vorm Kiez zu heiraten, ja, vorm Staat niemals. Und vor Gott, denn Karl ist einer der wenigen anarchistischen Christen. Im jungen Erwachsenenalter schloss er sich in Indien den “Kleinen Mönchen” an, einer Gruppe, die sich verpflichtete, Gutes in die Gemeinschaft zu bringen. Ein anarchistischer Christ, der jeden Tag zwei Stunden meditiert, der in den letzten Jahren dem Zen Buddhismus immer näher kam. Nichts war gegeben, jede Konvention konnte gestaltet werden. Gemeinsam mit der Gemeinschaft und in tiefer spiritueller Verbundenheit.

 

Die letzten Jahre verbrachte Karl auch viel mit seiner Partnerin Claudia in Rüdersdorf, auf dem Platz des Wiesenzirkus Bunter Hund. Sie waren ein gutes Team für Zirkusprojekte, er der Netzwerker, Aquise von Geld, sie, die die Strukturen in Verwaltung und Finanzen schaffte, immer den Kinder- und Jugendzirkus im Herzen. Sie haben Cabuwazi aus der Insolvenz rausgeholt, waren Gründungsmitglieder von Zirkus macht stark e.V. für das umfangreiche Förderprogramm „Kultur macht stark“, sie haben mit Karls Tochter Leila und ihrem Freund Thibo den “Familienzirkus” für Geflüchtete in Lesvos gegründet, haben sich für Zirkusschüler*innen aus der Ukraine, sich für ein Waisenhaus und den Gründungsstart einer Zirkusschule in Malawi engagiert.

Sehr, sehr gerne waren sie seit 2018 Opa Karl und Oma Claudi, immer in einem Atemzug genannt. Im April konnte er noch auf der Hochzeit von seinem Sohn Mirko und dessen Frau Tuedon tanzen und jetzt konnte er seinen wohl allerletzten Wunsch, ihren Sohn, sein jüngstes Enkelkind, Saye Kalo, zu sehen, sich noch im November erfüllen.

Und eben, der Zirkus Bunter Hund: Neben seinem Zirkuswagen stellte er dort einen Meditationswagen hin. Er regelte die Übergabe der Geschäftsführung bei Cabuwazi, der Krebs hatte einen Lungenflügel befallen. Wie durch ein Wunder wurden aus drei Monaten noch gut drei Jahre. Als Russland die Ukraine angriff, fragte er, ob wir nicht mit weißen Fahnen einen Friedenskonvoi organisieren könnten, um die Kraft der zivilen Lösungen zu propagieren. Es waren drei langsame Jahre, in denen er uns allen noch wundersame Momente schenkte, in denen er für die Liebe kämpfte. Ein Mönch, gar nicht so klein, der eine blühende wilde Landschaft hinterlässt.

 

geschrieben von Rasmus Lotterfingen

Bestattung

Bestattung und Gedenken

Die Gedenkveranstaltung ist am Sonntag, den 14. Januar 2024, um 12:00 Uhr im Kreuzberger Zirkuszelt Cabuwazi in der Wiener Str. 59.

 

Die stille Beisetzung findet am 16. Januar 2024, um 12 Uhr, Alter St. Thomas Friedhof, Hermannstr. 180 in Neukölln statt. Wir werden ein Gedenkbuch für letzte Worte, Fotos, sonstige Erinnerungsstücke auslegen.

 

Traueradresse: C. Lehmann, Planufer 85, 10967 Berlin, eMail: kkgedenken@gmail.com

 

Statt eines Kranzes oder Blumen, bitten wir um eine Spende an:

OV Rüdersdorf der Lebenshilfe e.V., einem Herzensprojekt von Karl, einem Ort, wo er Ruhe fand

IBAN: DE69 1705 4040 3026 0665 58, BIC: WELADED1MOL

Erinnerungen

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